Reisebericht zur Bildungsreise im Februar eines Vereinsmitglieds

Bildungsreise Irak 13.02 bis 20.02.2019
Kurzbericht

Im Februar 2019 unternahm die EGRD wieder eine ihrer Bildungsreisen in den Irak, speziell für Europäer. Für mich als langjähriger Muslim und Mitarbeiter im Deutschen Bundestag war die Reise von besonderem Interesse, weil ich vor der Reise hörte, dass wir hochrangige Gelehrte treffen werden. Diesen Gelehrten wollte ich viele Fragen über den Islam und Toleranz, Frauenrechte, Integration und die Scharia stellen.

Themen, welche in der Politik vieler europäischer Staaten in der heutigen Zeit durch die vermehrte Auseinandersetzung mit dem Islam von immer größerer Bedeutung werden.

Als Gruppe hatten wir hatten uns auch viele Ziele gesetzt, von denen wir einige sehr zufriedenstellend erreichen konnten.

Brückenbau zwischen Europa und dem Irak

Der Besuch eines anderen Landes und Interesse für dessen Kultur kann eine Verbindung zwischen der Bevölkerung zweier Nationen schaffen. Was jedoch besonders verbinden kann, ist eine gemeinsame negative Erfahrung der jüngsten Zeit, welche beide Länder betroffen haben. Besonders erkennbar wurde mir auf dieser Reise die Wichtigkeit des interreligiösen Dialogs, um Intoleranz und Fanatismus zu verhindern.

Wir alle haben noch sie schrecklichen Szenen in den Nachrichten im Gedächtnis, wie Lastkraftwagen durch Europas Straßen fahren und Menschen töten. Weiters sind die Enthauptungsvideos ein Beweis dafür, wie weit der religiöse Fanatismus gehen kann, und dieser sich weltlicher politischer Entwicklungen und Kriege bedient, um sein Weltbild und Ideologie zu rechtfertigen und durchzusetzen.

Durch die Medienberichterstattung und bestehenden Stereotypen wird ein bärtiger dunkelhaariger Mann in Europa schnell verdächtigt, ein möglicher Terrorist zu sein. Aber auf dieser Reise erlebte ich einen Rollentausch. Wegen meinen geplanten Treffen mit hochrangigen Gelehrten lies ich mir einen Bart wachsen, weil ich wusste, dass sie diesen als einen Teil der islamischen Tradition betrachten, und das Tragen eines Bartes oft empfehlen. Ich wollte den Gelehrten eine Freude machen!

Aber schon im Flugzeug sahen mich alle Iraker mit erschrockenen Augen an, und dies wiederholte sich mehrmals zu verschiedenen Zeitpunkten unserer Reise im Land selbst. Durch die Kombination meiner europäischen Hautfarbe, blauen Augen, blonden Haaren und dazu noch leicht gewellten Haaren zusammen mit dem neugewachsenen Bart erweckte ich bei Irakern Erinnerungen an jene IS Terroristen, welche aus Europa kamen, laut verschiedenen Berichten die brutalsten IS Kämpfer waren, und am meisten Verbrechen begangen. Was bleibt ist das gemeinsame Trauma, entstanden dadurch, dass sowohl Europa als auch der Irak Opfer des religiösen Extremismus wurden. Die Angst in den Augen anderer zu gesehen zu haben unterstreicht die Wichtigkeit des Dialogs und dem Ablehnen von Extremismen, sodass wir Menschen wieder zueinander finden, und eine bessere Zukunft bilden können.

Interkultureller & Interreligiöser Dialog

Aufgrund unserer vielen Besuche der schiitischen Bildungs- und Gebetszentren (Hussainiahs) in Europa konnten wir uns bereits mit der südirakischen Kultur und dem Volk vertraut machen. Natürlich war dorthin zu Reisen auch eine Gelegenheit, unsere interkulturellen Kenntnisse zu erweitern. So lernten wir die südirakische Kultur nicht nur an ihren Wurzeln und Quellen kennen, sondern konnten auch vergleichen wie Iraker, welche in Europa leben, sich durch den kulturellen Austausch zwischen Irak und Deutschland von denen unterscheiden, die im Irak geblieben sind.

Wieder einmal wurde uns bewusst, dass Kultur keine statische Einheit, sondern ständig im Wandel ist. Zahlreich sind die Einflüsse, welche auf eine Gemeinschaft einwirken. Besonders die äußeren Einflüsse sind wichtig, um Beziehungen zum Ausland zu entwickeln. Manche von uns konnten innerhalb kurzer Zeit Kontakte für humanitäre Projekte herstellen, aber auch bildungs-, religionswissenschaftliche und wirtschaftsbezogene Kontakte konnten etabliert werden.                 

In dem knappen Zeitraum einer Woche kann man im Interreligiösen Dialog nur gewisse Ziele erreichen. Was wir aber machen konnten, sind den muslimischen Gelehrten ein besseres Verständnis dafür geben, wie die Christen in Europa den Islam als Ganzes wahrnehmen. Dies soll ihnen natürlich als Vorbereitung für Dialoge mit Europäern dienen, und das Finden von Lösungen und Kompromissen zu Islam und Integrationsthemen erleichtern und beschleunigen.

Meinungsaustausch

Genauso wie Kultur nichts Statisches ist, verändert sich auch die Religion! Weil die Zeiten sich ändern, muss auch die Religion den Menschen immer wieder neue Lösungen zu neuen Herausforderungen liefern. Örtlichkeit ist auch ein wichtiger Faktor, und so konnten wir in Gesprächen mit den Gelehrten Probleme ansprechen, welche uns im interreligiösen Dialog und täglicher Glaubenspraxis besonders in Europa betreffen.

Sehr interessant war die Wechselwirkung zwischen den in Europa lebenden, und den im Irak verbliebenen Gelehrten zu erkennen. Während manche Gelehrte und Rechtsgelehrte in Europa ihre Rechtsprechungen den Gegebenheiten in Europa anpassen, erwiesen sich die Gelehrte in Irak in einigen Fragen als europäischer in ihren Ansichten als die in Europa lebenden Gelehrten.

Ich konnte mir das nur dadurch erklären, dass in Europa lebende Gelehrte vielleicht mit Ängsten kämpfen, sich zu sehr von der Quelle zu entfernen. Die Quelle des schiitischen Wissens versteht sich als solches für die ganze Welt, und erkennt auf erfrischender Weise, dass sie dies auch nur durch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an örtliche Gegebenheiten in der Ferne sein kann.

Wissenserweiterung

Bei unseren Besuchen zu Einrichtungen und Literaturmessen konnten wir viel Lesematerial für die kommenden Wochen und Monate nach unserer Rückkehr nach Deutschland sammeln. Bereits erlangtes Wissen über die Religion und Kultur konnte durch eigenes „Vor Ort sein“ und erlebten Erfahrungen gefestigt und erweitert werden.

Auch für die Gelehrten, welche wir im Irak trafen, war der Austausch in den Gesprächen eine wichtige Auskunft darüber, in welche Richtungen der Islam sich in Europa entwickelt.

Erwerb von Interkulturellen Kompetenzen

Da die meisten Teilnehmer der Reise schon mit der irakischen Community in Europa und Deutschland in Kontakt kamen, war diese Woche fast wie eine Vervollständigung unserer Kenntnisse über die irakische Kultur. Wir konnten erleben, wie die Iraker ihre Kultur in der Heimat leben, und nicht bloß als Minderheit in einer größeren europäischen Gesellschaft. Ganz besonders erlebten wir die Kultur des Irak bei den heiligen Schreinen und einer Literaturmesse.

Die Organisation von Wohltätigkeitsprojekten zwischen irakischen und deutschen Schulen, und Besuche in sowohl sozialen Einrichtungen als auch religiösen Stätten brachten uns mit vielen Menschen zusammen. Gemeinsam gingen wir auf die jeweils andere Kultur und Gepflogenheiten ein. Die Besuche bei diversen Firmen und Arbeitsplätzen rundeten unsere Erfahrungen mit verschieden Teilen der irakischen Gesellschaft ab.

Finden von Gemeinsamkeiten 

Die Teilnehmer der Reise sowie auch die Einheimischen konnten einige Gemeinsamkeiten in ihren Weltverständnissen und Lebensphilosophien erkennen, und diese lieferten die Basis für die Suche nach gemeinsamen Lösungen für die Probleme beider Völker, egal ob diese nun im Irak die Menschen herausfordern, oder in Deutschland.

Besonders die Kontakte, welche im Zuge der charitativen und bildungsorientierten Aspekte der Reise gemacht wurden, wurden die Grundsteine für eine gute Zusammenarbeit zwischen Iraker und Deutsche gelegt.

Hilfe für Waisenkinder und Kranke

Eine Reise in ein Land mit einer Geschichte wie die des Iraks soll auch dazu dienen, dass Menschen einander Mut geben. Von den Irakern, welche wir besucht haben, konnte wir die Kraft der Eigeninitiative inspirativ miterleben. Auch wenn die Möglichkeiten der Regierung noch begrenzt sind, für Wohlstand im Irak zu sorgen, so erlebten wir wie die Bevölkerung selbst trotz aller Umstände an der Verbesserung der Lage arbeitet, sei es nun wirtschaftlich, beruflich oder sozial. Obwohl viel religiöser Tourismus ins Land kommt, trafen wir auf fast keine Bettler.

Leider gibt es noch viel Arbeitslosigkeit, aber trotzdem bekam man den Eindruck, dass jeder irgendetwas macht, um Geld zu verdienen. Zum Teil kam es einem sogar vor, als ob sich zwei Leute einen Job teilten. Für jene die trotzdem nicht am Arbeitsmarkt mithalten konnten, gab es besonders durch religiöse Institutionen Hilfseinrichtungen für die sozial Schwachen und Kranke. Ein Indiz für die anhaltende Wichtigkeit der Religion auch in unserer heutigen Zeit.

Projekte mit Schulen

Teil der Reise war auch der Besuch bei einem Waisenkinderhaus, und bei einem Wohnheim für Menschen in Fürsorge. Briefe und Geschenke von Schülern aus Europa wurden für die irakischen Schulkinder mitgebracht, welche die Basis für einen schon in deren Kindheit stattfindenden Austausch zwischen den Nationalitäten legten.

Kennenlernen von Heiligtümern

Der Irak war für lange Zeit ein Land, zu dem wir aufgrund der kriegerischen Ereignisse nicht hinreisen konnten. Als wir 2019 endlich die Reise dorthin machen konnten, wurden Orte aus Erzählungen plötzlich lebendig, hautnah erlebbar. Besonders der Besuch der verschiedenen Schreine war ein Erlebnis, welches unser Wissen über die Spiritualität im Islam und dessen Geschichte erweiterte.

Einsatz für Frauenrechte

Schon seit den Zeiten des Byzantinischen Reiches gab es einen stetigen Austausch zwischen den Rechtssystemen Europas und der arabischen Welt. Es gibt starke Indizien, dass zuerst die Byzantiner, die Kreuzzügler, aber auch Heinrich VIII. in England und Napoleon sich der Scharia und des islamischen Gesellschaftssystems bedienten, um bereits im Orient erprobte Regeln und Gesetze als Basis für die Entwicklung der europäischen Rechtssysteme zu entwickeln. Zum Teil wanderten auch die neuen, europäisierten Scharia-Gesetze wieder in den Orient zurück, und wurden dort auch als willkommene Anpassungen der alten Gesetze an die Herausforderungen der neuen Zeit und der modernen Gesellschaftssysteme aufgenommen.

Dieser Austausch zwischen den Rechtssystemen geht heute weiter, und soll auch in Zukunft fortgesetzt werden. So klagen in Europa verschiedene Frauenbewegungen über die ungleiche Behandlung der Frau in Europa, besonders in der Bezahlung von Arbeitszeiten und Löhnen. Würden arabische Frauen Berichte über diese Probleme lesen, hätten sie möglicherweise mit ihrem anderen Erbschafts- und Familiengesetzen Lösungsansätze vorzuschlagen.

Unterstützung von Witwen


Die Wichtigkeit diese Aufgabe weiter zu entwickeln wurde uns allen deutlich, als die Frauen in unserer Reisegruppe auf eine alte Witwe in einem Seniorenheim zugingen. Die alte Frau fing an zu weinen und sagte: „Warum besuchen uns Fremde, und nicht die eigenen Kinder?“ Diese Frau war aber trotzdem über den Besuch erfreut, umarmte die europäischen Besucherinnen und war dankbar dafür, dass Leute von weit herreisten, um ihr Aufmerksamkeit zu schenken, und mit ihr zwischenmenschliche Mitgefühle zu teilen.

Die Begegnung war auch eine Erinnerung für uns alle, nach Möglichkeit auch mehr für unsere eigenen Eltern da zu sein.

  • Vereinsmitglied der Europäischen Gemeinschaft der Religionen – Im Dialog e.V., Berlin 05.03.2019

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